Das poco*manische Manifest

2016-03-03 00.05.18(Foto: Axel Mertens)

 

2014 habe ich versucht, mein Verständnis von Theater in Worte zu fassen.

Herausgekommen ist dabei das poco*manische Manifest, was nicht nur für das Theater mit Jugendlichen gilt, sondern für meine gesamte Theaterarbeit mit Menschen – seien sie nun jung oder alt.


Das poco*manische Manifest

 

1.

Alle Menschen sind Geschichtensammler und Geschichtenerzähler.

Wir alle wollen Geschichten hören.

Und darum wollen auch wir poco*manen im Theater Geschichten erzählen.

Doch nicht irgendwelche Geschichten.

Viele von unseren Geschichten haben wir selbst erfahren, andere haben wir uns zu eigen gemacht. Wieder andere Geschichten waren irgendwie schon immer in uns.


2.

Wir erzählen unsere Geschichten anderen Menschen.

Die haben eigene Geschichten.

Unsere Geschichten müssen es wert sein, erzählt zu werden.


3.

Am besten sind die Geschichten, die nur wir erzählen können.

Niemand sonst, …

weil wir diese Geschichten tief in uns gefunden haben,

weil sich diese Geschichten uns aufgedrängt haben,

 weil diese Geschichten uns gefunden haben.


4.

Unsere Geschichten müssen aber alle verstehen können.

Auch die, die noch nicht vielen Geschichten auf einer Bühne zugehört haben,

weil sie vielleicht noch sehr jung sind oder immer sehr beschäftigt.

Unsere Geschichten müssen verstanden werden.

Aber nicht unbedingt so, wie wir es wollen.

Wenn wir fertig sind, geht jeder wieder nach Hause.

Vielleicht mit einer neuen eigenen Geschichte.


5.

Wir erzählen unsere Geschichten nicht am Kamin.

Oder in einer Kneipe.

Wir erzählen unsere Geschichten auf einer Bühne.

Um unsere Geschichten zu erzählen, brauchen wir aber kein richtiges Theater.

Wir brauchen nur einen großen Raum.

Dieser Raum wird dann zu unserer Bühne.

Es kann ein altes Gewächshaus, eine Kirche, ein leerer Supermarkt sein.

Manchmal erzählt der Raum eine eigene Geschichte.

Gleichzeitig – mit uns.


6.

Wir erzählen unsere Geschichten allen, die sie hören wollen.

Sie mögen jung sein oder alt.

Sie mögen schon häufig im Theater gewesen sein oder zum ersten Mal.

Wir freuen uns über alle.


7.

Wer Geschichten von sich erzählen will, macht eine lange Reise.

Tief ins Ich.

Da erfahren die Reisenden viel von sich.

Manchmal auch Überraschendes, oder etwas, das ihnen Angst macht. 

Das gehört dazu.

Wer nichts erfährt, ist nie wirklich losgefahren.

Und wer etwas zu erzählen hat, ist wieder zurückgekommen,

…ist größer geworden,

…geht plötzlich gerade.

Theater ist eine Rückenschule.

Nicht nur bloße Gehhilfe.


8.

Wir reisen nie allein. Das wäre zu unsicher.

Wir reisen immer als Gruppe. 

Und wir kommen immer zusammen zurück.

Und deshalb erzählen wir auch unsere Geschichten nur zusammen.

Nie alleine.

Jeder ist für das Ezählen der Geschichte gleich wichtig.

Wir sind ein Orchester.


9.

Geschichten zu erzählen reicht manchmal nicht.

Dann müssen wir auch etwas tun.

Für uns und für andere.

Sonst werden wir unglaubwürdig.

Und unsere Geschichten auch.


10.

Wenn wir eine Geschichte das letzte Mal erzählen,

nehmen wir Abschied.

Aber nur vom Erzählen der Geschichte.

Und von den Menschen, die sie hören wollen.

Die Geschichte selbst bleibt.

In uns.

Für immer.


2016-03-02 23.43.23(Foto: Klaus Stimpel)